Ab dem 28.06.2025 gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Wir erklären Ihnen, was es mit digitaler Barrierefreiheit auf sich hat und wie Sie & Ihr Business vom Investment in digitale Barrierefreiheit profitieren.
Neues Gesetz für mehr digitale Barrierefreiheit – das Wichtigste auf einen Blick
Das neue Gesetz, das für mehr digitale Barrierefreiheit sorgen soll, folgt einem Beschluss des EU-Parlaments vom 22.07.2021. Kleinstunternehmen mit unter 10 Mitarbeiter:innen und unter 2 Mio. Euro Umsatz im Jahr sind ausgeschlossen. Das gilt jedoch nur für Unternehmen, die Dienstleistungen anbieten. Alle, die eigene digitale Produkte in Umlauf bringen, fallen also ebenfalls unter das neue Gesetz. Allgemein sind folgende digitale Services und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten:
Servicehotlines
E-Books
Messenger
Banking
E-Commerce
Dienstleistungen für den (überregionalen) Personennahverkehr
Obwohl nicht alle Unternehmen in gleicher Art und Weise betroffen sind, sollten Sie prüfen, ob und welche Ihrer Produkte und Services betroffen sind. Aber auch über das neue Gesetz hinaus lohnt das Investment in mehr digitale Barrierefreiheit.
Digitale Barrierefreiheit: Mehr als nur der Screenreader
Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland rund 7.8 Millionen schwerbehinderte Menschen, das sind knapp 9.4% Prozent der Bevölkerung. Hierbei sind die Formen von Behinderungen und Beeinträchtigungen sehr divers und wirken sich auf unterschiedlichste Weise auf die Nutzung digitaler Produkte aus.
Was bedeutet digitale Barrierefreiheit?
Zunächst geht es darum, sicherzustellen, dass Websites, Anwendungen und digitale Inhalte für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Beeinträchtigungen zugänglich sind, um die Teilhabe am digitalen Leben in einer zunehmend digitalen Welt zu gewährleisten.
Gibt es Best Practices oder klare Richtlinien?
Ja, es gibt einen klar normierten europäischen Standard (DIN EN 301 549). Weiterhin helfen die Richtlinien des W3C zur digitalen Barrierefreiheit. Hier werden vier Hauptprinzipien definiert:
Wahrnehmbar: Informationen müssen Nutzer:innen in einer Art und Weise vermittelt werden, die diese wahrnehmen können
Bedienbar: User Interface und Navigation müssen für die Nutzer:innen bedienbar sein
Verständlich: Informationen müssen für die Nutzer:innen verständlich sein
Robust: Die eingesetzten Technologien sollten robust sein, um möglichst vielen Geräten, Softwareversionen und assistiven Technologien den Zugang zu gewähren
Die Prinzipien sind einleuchtend, aber wie sieht das in der praktischen Umsetzung aus?
Digitale Barrierefreiheit – eine holistische Perspektive
Tatsächlich gibt es verschiedene Aspekte digitaler Barrierefreiheit. Selbstverständlich sollte eine barrierefreie Website screenreaderfriendly sein, indes sind Geräte, Inhalte, Behinderungen, Beeinträchtigungen, Fähigkeiten, Nutzungsmuster extrem vielfältig. Es hilft digitale Barrierefreiheit nicht nur, als bloße Checkliste zu betrachten. Schauen wir uns ein Beispiel an.
Ein gebrochener Arm ändert, wenn auch nur vorübergehend, die Art und Weise, wie wir ein Gerät bedienen. Auch ein Kind auf dem Arm macht beispielsweise einen Unterschied. Beides ist unterschiedlich und sicher nicht mit einem fehlenden Arm vergleichbar. Dennoch profitieren die Nutzer:innen in allen Fällen von ein- oder freihändiger Bedienung. Von digitaler Barrierefreiheit gewinnen also alle – auf unterschiedlichste Art und Weise.
Digitale Barrierefreiheit im Development
Bei der technischen Umsetzung gibt es eine Vielzahl an Best Practices für digitale Barrierefreiheit. Auch vor dem neuen Gesetz handelt es sich um etablierte Standards, hierzu zählen u. A.:
- die Verwendung von semantischem HTML
- Fallbacks für Screenreader (beispielsweise für unbeschriftete Icons)
- die Verwendung von alt Texten für relevante Bildinhalte
- die Fähigkeit auf einer Seite zu zoomen
Die Liste ist sicher nicht umfassend, indes gibt es viele Szenarien und Anwendungsfälle zu berücksichtigen: Muss ein rein dekoratives Bild zwingend für einen Screenreader ausgezeichnet sein, wenn es dem User keinen Mehrwert bringt? Auch die Implementierung einer Zoomfunktion auf Ihrer Website ist nicht zwingend zielführend. Einerseits ist diese Funktion in den meisten Browsern bereits enthalten, andererseits stellt sich die Frage, ob Nutzer:innen, die auf eine größere Schriftgröße angewiesen sind oder bevorzugen, diese nicht als standardmäßig in ihren Browsereinstellung erhöhen. Daher ist ein gutes Layout, das responsive und zoombar ist sowie auf verschiedene Schriftgrößen skaliert, deutlich effektiver. Bei digitaler Barrierefreiheit geht es also nicht zwingend um die Implementierung zusätzlicher Features, sondern um die robuste Implementierung für diverse Nutzungsszenarien. Ein einfaches Tool, das Ihnen beim benchmarken der Best Practices für digitale Barrierefreiheit hilft, ist der Lighthouse Score.
Mehr digitale Barrierefreiheit durch inclusive design
Allgemein ist gutes Design nutzerzentriert, das beinhaltet gut strukturierte Menüs und Formulare. Außerdem sollten interaktive Elemente stets also solche erkennbar sein – also wahrnehmbar. Es gibt im Design eine Vielzahl etablierter Best Practices, die auch die digitale Barrierefreiheit einbeziehen. Beispielsweise sollten Farbkontraste ausreichend hoch und Standardschriftgrößen ausreichend groß sein. Ebenso sollte bei der Farbwahl bedacht werden, dass verschiedene Farbkombinationen bei verschiedenen Formen von Farbenblindheit nicht oder nur schwer unterscheidbar sind. Besonders bei der Präsentation von relevantem Content sollte das im Design berücksichtigt werden. Das gilt auch für die Wahl der Schriftart. Die Lesbarkeit unterschiedlicher Fonts variiert, besonders bei Personen mit Lesestörungen.
Barrierefreier Content
Digitale Barrierefreiheit reduziert sich nicht nur auf eine gute technische Umsetzung und Gestaltung, auch beim Content selbst gilt es auf die Nachvollziehbarkeit zu achten. Sind Formulierungen nachvollziehbar und möglichst einfach gestaltet? Ist der Inhalt klar strukturiert, sind Überschriften erkennbar und Kategorien im Navigationsmenü verständlich? Bei einigen Angeboten und Services, etwa bei Websites von Behörden, finden sich auch zunehmend Inhalte in einfacher Sprache. Bei einfacher Sprache wird die Satzstruktur vereinfacht, idealerweise nur kurze Hauptsätze. Auf lange und komplexe Begriffe sollte verzichtet werden. In der Regel wird nur eine Information pro Satz vermittelt. Hierdurch werden Texte für Menschen mit unterschiedlichsten Sprach- und Lesekompetenzen zugänglicher. Bei digitaler Barrierefreiheit geht es nicht nur um physische Einschränkungen, sondern Menschen mit verschiedensten Fähigkeiten eine möglichst gute User Experience zu bieten.
Digitale Barrierefreiheit ist ein Asset
Digitale Barrierefreiheit eröffnet Menschen die Möglichkeit zu mehr Partizipation an der digitalen Welt und am digitalen Leben. Gleichzeitig handelt es sich um ein sinnvolles Investment. Auch der SEO Score profitiert von der Umsetzung der passenden Best Practices – der Google Lighthouse Score bewertet u. A. auch die Barrierefreiheit mit. Die vorgestellten Beispiele zeigen, wie divers Nutzungsszenarien und -muster sind. Digitale Barrierefreiheit ist mehr als ein einfaches Set an Regeln und es gilt die konkrete Interaktion mit Geräten und Technologien zu berücksichtigen. In einem anderen Beitrag haben wir bereits beschrieben, wie Sie mit User Research das volle Potenzial Ihrer Produkte nutzen.
Letztlich profitieren Nutzer:innen von robusten und inklusiven Lösungen auf vielfältige Arten und Weisen. Auch abseits der kommenden Gesetzesänderung handelt es sich, um eine gute Chance die Qualität digitaler Produkte nachhaltig zu stärken. Davon profitieren sowohl die Nutzer:innen, als auch Ihr Business.