Manche Produkte kommen aus dem Nichts und werden zum Kassenschlager, andere wiederum geraten trotz großer Vorschusslorbeeren und umfassender Werbemaßnahmen zum absoluten Flop. Um das zweite Szenario möglichst zu vermeiden, ist Unternehmen viel daran gelegen, die Erfolgsaussichten eines neuen Produkts vorab einzuschätzen. Gängige Methoden sind dabei Umfragen oder Produkttests, die die Meinung der Befragten und Testpersonen abbilden. Daraus ein Kaufinteresse abzuleiten, wäre jedoch fatal.
Warum? Weil das tatsächliche Verhalten – kaufe ich ein Produkt oder nicht – stark von der Meinung abweichen kann, die irgendwann einmal in einer Testsituation formuliert wurde. Die Entscheidung für eine möglicherweise hohe Investition zur Entwicklung eines neuen Produkts sollte auf dieser Basis also besser nicht getroffen werden. Viel aussagekräftiger sind echte Reaktionen potenzieller Konsumenten. Aber warum ist das so? Wie können solche Reaktionen gemessen werden? Und daraus valide Erkenntnisse für die Produktentwicklung abgeleitet werden?
Weil erfolgreiche digitale Innovation nicht nur unser Job ist, sondern uns wirklich am Herzen liegt, beschäftigen wir uns intensiv mit solchen Fragen. Damit in Zukunft aus starken Ideen noch mehr innovative Produkte werden können, möchten wir unsere Erkenntnisse zum Spannungsfeld zwischen Nutzerreaktion und Nutzermeinung ab sofort in der Blog-Reihe “Psychologie nutzerzentrierter Innovation” mit Ihnen teilen. Im ersten Teil widmen wir uns dem Zwei-Prozess-Modell, das erklärt, wie unser Gehirn arbeitet.
Automatisches Nutzerverhalten statt kontrollierte Testsituation
Zunächst einmal bleibt festzuhalten: Im Zuge des stetigen Trends zur Nutzerzentrierung im Marketing und der wachsenden Beliebtheit von Human Centered Design hat der Einsatz qualitativer Forschungsinstrumente eine uneingeschränkte Daseinsberechtigung. Gerade in der Frühphase von Innovationsprozessen können etwa Interviews wichtige Erkenntnisse über die Zielgruppe liefern und auf dieser Basis Hypothesen zum geplanten Produkt zu entwickeln.
Wenn es allerdings darum geht, diese Hypothesen zu testen, stoßen qualitative Forschungsmethoden an ihre Grenzen. Denn: Wenn ein potenzieller Käufer ganz spezifisch nach seiner Meinung gefragt wird, entspricht das eher einer künstlichen Testsituation, als einem authentischen Konsum-Szenario. Um also möglichst realistisch zu simulieren, wie ein Produkt beim Nutzer ankommt, werden quantitative Verfahren benötigt, die nicht Meinungen, sondern echte Reaktionen testen.
Sowohl bei Reaktionen als auch bei Meinungen handelt es sich um psychologische Phänomene, die auf komplexe Ursachen zurückgehen. So gibt es
gewissermaßen zwei Modi, in denen das menschliche Gehirn arbeitet: kontrollierte Prozesse und automatische Prozesse. Während erstere sich durch Konzentration und hohen Energieaufwand auszeichnen, beschreiben letztere Handlungen, die eher unbewusst und im Energiesparmodus stattfinden. Bezieht man dieses Zwei-Prozess-Modell auf die Produktinnovation, neigt der Mensch in einer Testsituation klar zu kontrollierten Prozessen. Automatische Prozesse dominieren, wenn wir beispielsweise entspannt im Internet surfen.
Schweinebraten oder CO2-neutraler Multivitamin-Smoothie?
Wie sich die beiden skizzierten Arbeitsmodi des menschlichen Gehirns auf mögliche Kaufentscheidungen niederschlagen können, lässt sich anhand eines praktischen Beispiels erklären.
Stellen wir uns ein Unternehmen aus dem Lebensmittelbereich vor, das im Rahmen eines qualitativen Interviews testen möchte, inwieweit eine Person aus der ausgemachte Zielgruppe empfänglich für das geplante Produkt - sagen wir, einen speziellen Obst-Smoothie - ist. Gelockt werden Studienteilnehmer in solchen Fällen häufig mit einem Incentive wie einem Amazon-Gutschein. In unserem Fall ist die Testperson außerdem eingeladen, im Anschluss an das Interview in der firmeneigenen Kantine zu Mittag zu essen.
Der inhaltliche Schwerpunkt des Gesprächs: Obst. Im Zuge unterschiedlicher Fragestellungen und Perspektiven macht sich die Testperson intensiv Gedanken zu dieser spezifischen Gruppe von Nahrungsmitteln. Folglich laufen in seinem Gehirn kontrollierte Prozesse ab, weshalb der Befragte zum Ende des Interviews auch voller Überzeugung erklärt, dass eine obsthaltige Ernährung sinnvoll sei - und der geplante CO2-neutrale Multivitamin-Smoothie genau das richtige für ihn.
Nach dem Interview folgt die Testperson der Einladung in die Kantine. Dort wird sie explizit auf die freie Auswahl beim ausgewogenen Mittagsbuffet hingewiesenen. Der Befragte schaut sich ein wenig um, spaziert an der großen Obstauswahl vorbei und stoppt schließlich beim Schweinebraten, den er sich mit Klößen und Soße auf den Teller lädt. Diese Reaktion als Teil eines automatischen Prozesses sagt zwar nichts darüber aus, ob der Befragte Fleisch grundsätzlich lieber mag als Obst. Das Buffet-Setting entspricht jedoch eher dem Umfeld, in dem authentische Kaufentscheidungen getroffen werden.
Reichhaltiges Buffet im digitalen Umfeld
Ob Schweinebraten mit Klößen oder digitale Produktinnovation: Um herauszufinden, was ein Kunde wirklich will, ist es notwendig, ihm klar und deutlich aufzuzeigen, um welches Produkt es letztendlich geht. Unser Smoothie-Szenario zeigt, dass eine theoretische Meinung nur äußerst bedingt dabei hilft, das spätere Kaufverhalten zu verstehen. Schauen Sie vielmehr, wie er potenziell in einer realistischen Situation reagiert. Das ist gerade bei digitalen Produkten im B2C-Bereich gar nicht so schwer und funktioniert erfahrungsgemäß in (fast) allen Branchen – von Beauty-Produkten über Banking und Versicherungen bis hin zu Mobilität und Energieversorgung.
Das Internet ist der perfekte Kanal, um potenzielle Kunden in ihrer natürlichen Umgebung anzutreffen, während sich im Gehirn automatische Prozesse abspielen. Wir bei candylabs haben dafür unser eigenes Virtual Prototyping entwickelt. Dabei handelt es sich um einen über mehrere Jahre entwickelten Prozess, mit dem wir bereits in über 60 Projekten digitale Produkte erfolgreich getestet haben. Eine Kombination aus einer ansprechenden Landingpage, digitalen Werbeanzeigen, Tracking und Analytics ermöglicht uns, Performance-Daten zu sammeln und die Reaktionen der Nutzer bis ins kleinste Detail zu analysieren.
Damit digitale Produkttests zum gewünschten Erfolg führen, ist vor allem der Zeitpunkt entscheidend: Bereits vor der eigentlichen Produktentwicklung sollten Wertversprechen möglichst spitz und realistisch formuliert werden – also so, dass der Nutzer davon ausgeht, das Produkt oder den Service unmittelbar kaufen oder konsumieren zu können. So erhalten Sie authentisches Feedback direkt aus ihrem Zielmarkt, können die Reaktionen der Kunden anschließend haargenau analysieren und das Produkt bei Bedarf weiter auf den Zielmarkt zuschneiden.
Echter Mehrwert durch nutzerzentriertes Testen
Wer Produkte zu einem frühen Zeitpunkt im Innovationsprozess testet und dabei den Nutzer in den Mittelpunkt stellt, um authentische Reaktionen zu triggern, schafft einen echten Mehrwert. Das Virtual Prototyping sorgt dafür, dass man das Leistungsversprechen eines Produktes möglichst früh sehr konkret formuliert und der Mehrwert für den Verbraucher klar herausgestellt wird. So bleibt man als Innovationsteam zum einen davor bewahrt, sich in endlosen Konzept-Iterationen zu verlieren. Und Hypothesen, die zuvor mittels qualitativer Methoden generiert wurden, können auf diese Weise quantitativ validiert werden.
Die Hürde für Unternehmen, digitale Produkte marktnah und authentisch in ihrer Zielgruppe zu testen, ist vergleichsweise niedrig. Eine Voraussetzung lautet: Mutig sein und einfach mal machen. Außerdem wichtig: Akzeptieren Sie die neuropsychologischen Gegebenheiten, denen wir Menschen naturgemäß unterliegen und seien Sie fair zu Ihren potenziellen Kunden (und damit auch sich selbst). Geben Sie ihnen die Chance, in einer authentischen Umgebung echte Entscheidungen zu treffen. Denn nur so können Sie Erkenntnisse sammeln, die sich auch realistisch validieren lassen - und auf dieser Basis Produkte kreieren, die Ihre Kunden wirklich haben wollen.